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Strategische Optionen für den Online-Markenauftritt – Interviewreihe 2 von 4 mit Prof. Dr. Gerrit Heinemann

von Markus Fost am 26. Januar 2015

Prof. Dr. Gerrit Heinemann studierte Betriebswirtschaftslehre in Münster und promovierte als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marketing bei Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heribert Meffert. Er begann seine außer-universitäre Laufbahn als Zentralbereichsleiter für Marketing bei der Douglas Holding AG, bevor er zur Kaufhof Warenhaus AG wechselte, dort ein Trainee-Programm nachholte und anschließend Warenhaus-geschäftsführer wurde. Als Zentralgeschäftsführer der Drospa Holding kehrte er zurück zur Douglas-Gruppe, wechselte dann zur internationalen Unternehmensberatung Droege & Comp. und führte dort das „Competence Center Handel und Konsumgüter“. 2005 erhielt Heinemann einen Ruf an die Hochschule Niederrhein, wo er das eWeb-Research-Center leitet und die Fächer Betriebswirtschaftslehre, Management und Handel lehrt. Er ist Autor mehrerer Fachbuch-Bestseller zu E-Commerce-Themen und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der buch.de internetstores AG.

Markus Fost: Endverbraucher erwarten heutzutage das gesamte Produktportfolio eines Herstellers auf deren Online-Markenauftritt und möchten neben einer stationären Händlersuche auch online möglichst ohne Medienbruch zum Kaufabschluss gelangen.

Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Absolut d’accord. Zu dieser These stimme ich Ihnen 100 % zu.

Markus Fost: Welche sinnvollen strategischen Optionen stehen den produzierenden Herstellern hinsichtlich des Online-Markenauftritts zur Verfügung?

Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Sinnvoll ist eine multioptionale Lösung, welche verschiedene, komplexe Distributionsformen von eigenem Retailing bis hin zu Verbundlösungen mit dem (Groß-)Handel ermöglicht. Wichtig hierbei ist, dass eine solche Option auch das Thema Internationalität berücksichtigt und Anbindungen an Marktplätze ermöglicht. Stark im Kommen sind auch interaktive Plattformen als zusätzliche Absatzkanäle, die weit über die Funktionalität der bisherigen Marktplätze hinausgehen. Plattformen wie DaWanda und etsy.com rüsten massiv auf, sodass davon auszugehen ist, dass in Zukunft Alternativen zu Amazon und eBay bestehen werden. Diese sogenannte Reintermediation, d. h. die Neuerfindung von Intermediären im digitalen Bereich, wird dazu führen, dass traditionelle intermediäre Händler und Fachhändler zunehmend ersetzt werden. Daher ist es wichtig, dass Hersteller diese Tatsache in ihrer E-Commerce-Strategie berücksichtigen. Von radikalen Outsourcinglösungen, wie z. B. der Auslagerung eines exklusiven Markenshops an den Handel, rate ich ab.

Markus Fost: Das Internet sorgt für vollkommenere Märkte, vorwiegend durch eine hohe Preistransparenz. Demzufolge differenzieren sich viele Online-Anbieter primär durch den Preis. Dies stellt insbesondere für Premium-Hersteller ein großes Problem dar.

Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Richtig, allerdings resultieren die Probleme vielmehr daraus, dass Hersteller am Anfang falsche Weichenstellungen vorgenommen haben, die über selektivere und kontrollierte Absatzwege hätten verhindert werden können. Dies im Nachhinein auszugleichen, gestaltet sich jedoch schwierig.

Markus Fost: Welche Methoden empfehlen Sie Markenherstellern, um Preiserosionen zu vermeiden?

Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Hier empfehle ich eine stärkere Kontrolle im Absatzkanal, was zu selektiveren Distributionsmodellen führt. Es gibt auch Marktplätze bzw. marktplatzähnliche Modelle, die diese Kontrolle zulassen, weil sie geschlossen sind. Das Partnermodell von Zalando oder auch der eBay-Markenshop sind markenverträgliche Plattformlösungen, bei denen Preisverhau nicht allgegenwärtig ist. Amazon hingegen nutzt die Preisaggressivität bei Markenartikeln egoistisch, um damit auch mehr Frequenz für Eigensortimente zu schaffen. Künftig wird es im Bereich der Marktplätze noch sehr viel differenziertere Modelle geben. Markenanbietern würde ich raten, eher Dinge sein zu lassen, bevor man eine zu schnelle, unüberlegte Partnerschaft eingeht. Vor allem in Bezug auf Marktplätze sind Pricingstrategien irreversibel.

Markus Fost: Hinsichtlich der Distributionsstrategien führt die Omnipräsenz auf allen Kanälen zu einem erhöhten Preis- und Margendruck. Um diesen zu kompensieren, stehen Online-Offline-Pricing- sowie Produktportfolio-Strategien zur Verfügung. Marktplätze sorgen jedoch für weiter zunehmende Transparenz, sodass manchen Markenherstellern letztlich nur der Schritt in eine selektive Distribution bleibt.

Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Richtig, allerdings ist der erhöhte Preis- und Margendruck häufig selbst verschuldet, da vielen Herstellern und deren Händlern der Einfallsreichtum fehlt, sich über andere Kriterien als über den Preis zu differenzieren. Aus meiner Sicht haben es manche Marken überhaupt nicht nötig, sich über den Preis zu differenzieren. Leider differenziert sich der Handel häufig über den Preis und nimmt die Haltung ein, dass der Preis im Internet niedriger sein muss als stationär. Dies muss jedoch gar nicht sein. Ich empfehle dem Handel, die Vorteile, die das Online-Shopping hat, herauszustellen. Schließlich hat der Kunde dadurch eine Zeitersparnis durch geringere Lieferkosten, als wenn er in die Stadt fahren muss. Beispielsweise hat Amazon es im Büchersegment trotz Preisbindung geschafft, die gesamte Branche neu aufzurollen. Jeder Buchhändler kann analog zu Amazon auf Sortimentsgroßhändler, die unmittelbar liefern können, zugreifen. Insofern wäre es auch anderen Händlern möglich gewesen, ein ähnliches Konzept wie Amazon auf die Beine zu stellen.

Markus Fost: Einige Markenhersteller – wie z. B. adidas und Kettler – haben kürzlich ein selektives Vertriebssystem zur Markenpflege eingerichtet, insbesondere, um dem Preisverfall aus Marktplätzen wie Amazon entgegenzutreten. Das Bundeskartellamt prüft aktuell die Zulässigkeit des Selektivvertriebs von adidas. Dieser Präzedenzentscheidung wird von vielen Herstellern mit Spannung entgegengesehen. Mit welchem Ausgang rechnen Sie und welche Option schlagen Sie kleineren Herstellern vor, die temporäre Umsatzeinbrüche – das Risiko, dass die Einführung eines solchen Systems mit sich bringt – nicht eingehen können?

Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Ich glaube, dass es schwierig ist, ein solches selektives System nachträglich einzuziehen. Auch adidas hat den Vertrieb auf Marktplätzen zu lange ausufern lassen und versucht, dies nun zu beheben. Jedoch wird auch ein selektives Vertriebssystem nicht per se, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen funktionieren. Viele Hersteller verstehen bis heute nicht, wie der moderne Kunde tickt. Der Kunde hat durch das mobile Internet die totale Markttransparenz, was dazu führt, dass er Preisvergleiche durchführen kann. Der moderne Kunde möchtekünftig selbst bestimmen, ob er eine Beratung im Handel beanspruchen möchte, und ist nur noch bereit dafür zu bezahlen, wenn er sich aktiv dafür entschieden hat. Daher ist es meiner Einschätzung nach erforderlich, dass der Handel und auch die Hersteller ihre Geschäftsmodelle neu bewerten. Die qualitativen Anforderungen an eine optionale Beratungsleistung, die monetär vergütet wird, werden massiv steigen. Künftige Geschäftsmodelle sollten die Anforderungen der Konsumenten berücksichtigen, indem sie den Kunden die Produkte vergünstigt, ohne Beratung anbieten und sich die optionale Beratung monetär vergüten lassen. Auch ein selektives Vertriebsmodell wird sich nur dann durchsetzen können, wenn dadurch ein echter Vorteil für den Kunden geschaffen wird. Dies sehe ich bei vielen selektiven Vertriebsmodellen nicht.

Quelle: Markus Fost, E-Commerce Strategien für produzierende Unternehmen, Springer-Gabler (2014)

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